Hörspielaufnahmen am RP4, Funkhaus „Die Vitaminlüge“ v. Daniel Wisser

Die Vitaminlüge

Hörspiel von Daniel Wisser

CARLA sehnt sich nach der großen Katastrophe, um frei zu werden, frei von Verpflichtungen, Beziehungen und einem immergleichen Alltag, der ihrem Leben einen letzten Rest von Struktur verleiht. Wir folgen CARLA durch diesen Alltag, den sie ihrer Therapeutin, Frau KLARFELDT, am Telefon eindringlich schildert und sich im Laufe der Telefongespräche in alptraumhafte Räume und Begegnungen verwandelt. Immer tiefer dringen wir dabei in CARLAS eigentliches Drama vor, das sich zwischen ihr und ihrer Mutter, die sie im Altersheim besucht, vor vielen Jahren ereignet hat. Mutter wie Tochter fühlen sich beide schuldig am Tod des Mannes, des Vaters. Doch darüber wurde und wird nicht gesprochen. Die unselige Verbindung, die die kleine Familie aneinander hält, ist Quelle für CARLAS Katastrophensehnsucht und nervösen, phobisch-neurotischen Zustand.

Daniel Wisser hat dieses Hörspiel im Eindruck der Pandemie und Lockdowns geschrieben. Er hat,“ wie er sagt, „mit einer gewissen Faszination bemerkt, dass viele Menschen fast begeistert darüber waren, dass soziale Kontakte und Verpflichtungen wegfielen bzw. leicht und ohne Ausrede abzusagen waren. Der heimliche, immer schon gehegte Wunsch, den bisherigen Alltag hinter sich zu lassen, konnte plötzlich frei ausgelebt werden.“ Also hat sich, wie er schreibt, „auf die Suche nach den Gründen für die Sehnsucht nach Katastrophen und Untergangsszenarien und die Hintergründe für allzu voreiligen oder haarsträubenden Alarmismus gemacht,“ denn er glaubt, „dass diese nicht in den äußeren Umständen, sondern in persönlichen Frustrationen zu suchen sind.“

In seinem Text durchmisst Daniel Wisser den „Imaginationsraum Hörspiel“ neu, spielt mit Erzähl- und Zeitebenen sowie mit Außen- und Innenräumen. Ganz im Sinne des „Jandl´schen-Mayeröcker Imperativs“: Hör!Spiel!

Im Ö1 Hörspiel: Der Weibsteufel – n. Karl Schönherr

„Ich bin keine Sterberin. Ich leb gern; ja, jetzt noch lieber als früher. Wenn schon gstorbn sein muss, warum denn grad ich und du, zwei gsunde Leut?“ Nüchtern zieht das Weib vor dem Grenzjäger in Karl Schönherrs Stück „Der Weibsteufel“ seinen Schluss aus den Erfahrungen, die es durch den wechselhaften Kampf mit sich selbst und den beiden Männern gemacht hat.

Einblick in die körperlichen Nöte

„Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube“ – so schlicht leitet Karl Schönherr seine Dreiecksgeschichte ein, die 1915 am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gelangte und eines seiner erfolgreichsten Stücke werden sollte.

Es ist ein Drama mit einfachem Plot, das zwischen den Worten seine Vielschichtigkeit offenlegt und Satz für Satz die mörderische Dynamik zwischen den drei typisierten, namenlosen Figuren vorantreibt, deren Bedürfnisse aber nicht konkreter und menschlicher sein könnten. Karl Schönherr war nicht nur Schriftsteller, er war auch Arzt. Er hatte tiefen Einblick in die körperlichen Nöte der Menschen und wusste genau um die oft schwerwiegenden sozialen Konsequenzen mangelnder Gesundheit.

Taktisch eingesetzte Erotik

Aus diesen Nöten bzw. Begierden entwickelte er den Unterbau zu seinem „Weibsteufel“. Er verknüpfte zeitlose Motive wie Status, Besitz und Anerkennung mit dem unerfüllten Kinderwunsch der Frau, der nicht erfüllenden Sexualität des mittellosen Ehepaares und einer zunächst nur taktisch eingesetzten Erotik des Jägers, die, sobald echte Gefühle ins verräterische Spiel kommen, nicht mehr so einfach kontrolliert werden kann.

Der Mann treibt sein Weib an, den falschen Avancen des Jägers nachzugeben, damit er ungestört seiner Hehlerei nachgehen kann. Er will das Haus am Marktplatz kaufen, um so den gewünschten gesellschaftlichen Aufstieg zu erlangen und zumindest auf diese Weise vor seinem Weib als „ganzer Mann“ dazustehen.

Zum Warenwert degradiert

Der Jäger lässt sich wiederum vom Kommandanten auf das Weib „ansetzen“, um den kriminellen Machenschaften des Paares auf die Schliche zu kommen und eine schnelle Beförderung zu erreichen. Das Weib weist zunächst das Ansinnen des Mannes zurück, spielt aber schließlich mit, bis es, mehrfach verraten vom „System Weibsteufel“, zur Einzelkämpferin wird.

Im Konkurrenzkampf der beiden Männer zum Warenwert degradiert, erkennt es in dieser Ware ein Werkzeug, lernt es einzusetzen und schlägt die Herren mit ihren eigenen Mitteln. Intimität, Grenzen die überschritten werden, und vor allem das, was nicht gesagt wird: Mit diesen Innenräumen beschäftigt sich dieses Hörspiel, das die bäuerliche Stube in seiner musikalischen Umsetzung weder zeitlich noch regional verortet.

Musikalische Umsetzung & Kunstsprache

Alle Sounds (von Stefan Fraunberger) kommen aus dem Bauch eines Zymbals (ungarisches Hackbrett), zum Teil elektronisch bearbeitet, zum Teil im Originalklang belassen. Die Kunstsprache des Tiroler Schriftstellers und Arztes Karl Schönherr ist im (lokalen) Idiom der drei Tiroler Schauspieler/innen Gerti Drassl, Hannes Perkmann und Harald Windisch angedeutet. Technisch umgesetzt wurden die akustischen Erzählräume von Anna Kuncio (Ton), Daniel Bren und Manuel Radinger (Schnitt).

Wo sind alle Menschen und Tiere hin?

Im Schalltoten Raum in den Ö1 Hörspielstudios mit Markus Hering und Elmar Peinelt.

„Die Arbeit der Nacht“ Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Glavinic

Ich freue mich, dass Ö1 mein Hörspiel „Die Arbeit der Nacht“ nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Glavinic am Samstag, 5. September, um 14 Uhr wiederholt. Es ist ein Stück, das in den ausgestorbenen Straßen Wiens durch den Corona bedingten Lockdown eine unheimliche Gegenwärtigkeit erfahren hat. – Ein Mann wacht in der Nacht auf und entdeckt nach und nach, dass er vollkommen allein ist, in Wien, in der Provinz, wahrscheinlich überall. So bedrohlich die Erkenntnis des totalen Alleinseins in einer vollkommen unbewohnten Welt anmutet, so bedrohlich dreht sich die Angst, womöglich unter diesen neuen Vorzeichen doch einem Anderen zu begegnen.
Die Streifzüge durch Wien, durch die menschenleeren Straßen, Wohnungen und Keller, durch menschenleere Landschaften und Dörfer in der Provinz, durch ein ausgestorbenes Europa, entwerfen eine Tour de Force durch seelische Zustände, Ängste und Sehnsüchte. Das Hörspiel verwandelt die Abwesenheit von Welt in einen akustischen Thriller.
Mit dabei sind Markus Hering als Jonas, Hans Piesbergen als erzählende Kamera, dicht auf Jonas´ Fersen im Close Up, Dorothee Hartinger als Marie und außerdem Bibiana Zeller. Ton: Elmar Peinelt und Stefan Wirtitsch, Produktion NDR/ORF.

Plötzlich der letzte Mensch auf der Welt: Hörspiel nach T. Glavinics „Die Arbeit der Nacht“

Kurzinfo:

Jonas wacht nachts auf und entdeckt schrittweise, dass er vollkommen allein ist, nicht nur in Wien, der Stadt, die ihm vertraut ist, sondern womöglich überall. Allein auf der Welt!? Auch die Tiere sind verschwunden. Ist er der einzige Überlebende? Während er schlief muss etwas passiert sein. Auf der Such nach Lebenszeichen, gerät Jonas in einen Höllentrip ins eigene ICH. Unendliche Einsamkeit.

„Als ich 2014 Thomas Glavinics Roman „Die Arbeit der Nacht“ fürs Hörspiel bearbeitet habe, habe ich nicht im Traum daran gedacht, je einmal auch nur annährend in die reale Kulisse dieses Trips in Wien zu tauchen. Mit dem Fahrrad durch Wien ins Funkhaus, spät abends am ersten Wochenende des Corona bedingten Lockdowns war genau so: keine menschen, keine menschen, keine menschen, nirgends, es schien, nicht einmal in den Häusern selbst. Kein Geräusch. Man hätte sich reinsteigern können … Wie es in einem Menschen klingt, wenn außerhalb nichts mehr „klingt“, das habe ich damals herausfinden wollen … Deutschlandfunkkultur wiederholt das Stück, das ich gemeinsam mit Hans Platzgumer(Musik), Markus Hering als „doppelter“ Jonas, Bibiana Zeller, Dorothee Hartinger, Hans Piesbergen und Elmar Peinelt gemacht habe. Am 29.04. um 22:03 Uhr DLF“

So klingt die Arbeit der Nacht

 

 

Scheidle führt Regie: „Der Weibsteufel“ von K. Schönherr , 25.03.20 20:05, BAYERN 2

Der Wunsch nach einem erfüllten Leben. „Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube.“ Es ist eine Geschichte mit einfachem Plot, die zwischen den Worten ihre Vielschichtigkeit und Komplexität offenlegt, und es ist eine zeitlose Geschichte, denn die Bedürfnisse ihrer drei namenlosen, typisierten Figuren könnten nicht menschlicher sein. Sie kämpfen um Status, Anerkennung, Ehre und um bzw. gegen die Bedürfnisse ihrer Sexualität: Ein mittelloses Paar mit unerfülltem Kinderwunsch will durch kriminelle Machenschaften zu Geld kommen. Als der Mann erfährt, dass ein Grenzjäger auf sein Weib angesetzt wird, um ihnen auf die Schliche zu kommen, verlangt er von seiner Frau, den Spieß umzudrehen und mit dem Beamten zu flirten. Zunächst spielt seine Frau mit, bis sie schließlich, mehrfach verraten, zur Einzelkämpferin wird und sich gegen beide Männer stellt.

Karl Schönherr (1867- 1943), Arzt und Dramatiker. Weitere Stücke „Der Judas von Tirol“ (1897), „Die Bildschnitzer“ (1900), „Glaube und Heimat“ (1910). „Der Weibsteufel“ (1914) wurde mehrfach verfilmt, zuletzt 2012 von Florian Flicker unter dem Titel „Grenzgänger“.

Der Weibsteufel Ausschnitt