Vom Leben in der Banlieu

Welche Reise dauert länger? Als Fünfjähriger mit den Eltern vom Kongo auszuwandern, um in den Banlieues von Paris zu leben, oder mit 18 Jahren als Jugendlicher der Pariser Vorstadt mit der U-Bahn ins Zentrum zu fahren, um an der Sorbonne zu studieren? Wilfried N’Sonde hat beide Reisen gemacht, und er erzählt davon, als Autor und als Chansonnier.

Ursula Scheidle hat Wilfried N´Sondé in Berlin, Neukölln getroffen und er hat ihr von seinen inneren und äußeren Reisen erzählt.

Für sein Romandebüt „Das Herz der Leopardenkinder“ (erschienen 2007 zunächst in Frankreich, 2008 ins Deutsche übersetzt) erhielt er unter anderen Preisen den „Prix Senghor de la Création Littéraire“. N’Sonde erzählt in dieser Geschichte von den verzweifelten Versuchen junger Einwanderer in Paris, in der französischen Gesellschaft anzukommen.

„Als Selbstgespräch von schonungsloser Radikalität und betörender Musikalität, dessen stakkatohafter Rhythmus an Rapsongs erinnert“, lobte die FAZ das Buch. N’Sonde gibt als französisch-kongolesischer Autor und Chansonnier den Kindern seiner Emigrantengeneration eine neue Stimme. Er führt seine Zuhörer/innen zielsicher und poetisch durch die komplexen Lebensstrukturen und Probleme einer Generation, die zerrissen zwischen zwei Kulturen auf der Suche nach ihrer Identität ist.

Plötzlich der letzte Mensch auf der Welt: Hörspiel nach T. Glavinics „Die Arbeit der Nacht“

Kurzinfo:

Jonas wacht nachts auf und entdeckt schrittweise, dass er vollkommen allein ist, nicht nur in Wien, der Stadt, die ihm vertraut ist, sondern womöglich überall. Allein auf der Welt!? Auch die Tiere sind verschwunden. Ist er der einzige Überlebende? Während er schlief muss etwas passiert sein. Auf der Such nach Lebenszeichen, gerät Jonas in einen Höllentrip ins eigene ICH. Unendliche Einsamkeit.

„Als ich 2014 Thomas Glavinics Roman „Die Arbeit der Nacht“ fürs Hörspiel bearbeitet habe, habe ich nicht im Traum daran gedacht, je einmal auch nur annährend in die reale Kulisse dieses Trips in Wien zu tauchen. Mit dem Fahrrad durch Wien ins Funkhaus, spät abends am ersten Wochenende des Corona bedingten Lockdowns war genau so: keine menschen, keine menschen, keine menschen, nirgends, es schien, nicht einmal in den Häusern selbst. Kein Geräusch. Man hätte sich reinsteigern können … Wie es in einem Menschen klingt, wenn außerhalb nichts mehr „klingt“, das habe ich damals herausfinden wollen … Deutschlandfunkkultur wiederholt das Stück, das ich gemeinsam mit Hans Platzgumer(Musik), Markus Hering als „doppelter“ Jonas, Bibiana Zeller, Dorothee Hartinger, Hans Piesbergen und Elmar Peinelt gemacht habe. Am 29.04. um 22:03 Uhr DLF“

So klingt die Arbeit der Nacht

 

 

Scheidle führt Regie: „Der Weibsteufel“ von K. Schönherr , 25.03.20 20:05, BAYERN 2

Der Wunsch nach einem erfüllten Leben. „Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube.“ Es ist eine Geschichte mit einfachem Plot, die zwischen den Worten ihre Vielschichtigkeit und Komplexität offenlegt, und es ist eine zeitlose Geschichte, denn die Bedürfnisse ihrer drei namenlosen, typisierten Figuren könnten nicht menschlicher sein. Sie kämpfen um Status, Anerkennung, Ehre und um bzw. gegen die Bedürfnisse ihrer Sexualität: Ein mittelloses Paar mit unerfülltem Kinderwunsch will durch kriminelle Machenschaften zu Geld kommen. Als der Mann erfährt, dass ein Grenzjäger auf sein Weib angesetzt wird, um ihnen auf die Schliche zu kommen, verlangt er von seiner Frau, den Spieß umzudrehen und mit dem Beamten zu flirten. Zunächst spielt seine Frau mit, bis sie schließlich, mehrfach verraten, zur Einzelkämpferin wird und sich gegen beide Männer stellt.

Karl Schönherr (1867- 1943), Arzt und Dramatiker. Weitere Stücke „Der Judas von Tirol“ (1897), „Die Bildschnitzer“ (1900), „Glaube und Heimat“ (1910). „Der Weibsteufel“ (1914) wurde mehrfach verfilmt, zuletzt 2012 von Florian Flicker unter dem Titel „Grenzgänger“.

Der Weibsteufel Ausschnitt

 

Der Weibsteufel: Nominiert zum Hörspiel des Jahres 2019

Der Weibsteufel

„Ö1 Hörspiel“ zu Karl Schönherrs gleichnamigem Drama.

„Ich bin keine Sterberin. Ich leb gern; ja, jetzt noch lieber als früher. Wenn schon gstorbn sein muss, warum denn grad ich und du, zwei gsunde Leut?“ Nüchtern zieht das Weib vor dem Grenzjäger in Karl Schönherrs Stück „Der Weibsteufel“ seinen Schluss aus den Erfahrungen, die es durch den wechselhaften Kampf mit sich selbst und den beiden Männern gemacht hat.

„Der Weibsteufel“ von Karl Schönherr (ORF/SWR 2019)

Einblick in die körperlichen Nöte

„Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube“ – so schlicht leitet Karl Schönherr seine Dreiecksgeschichte ein, die 1915 am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gelangte und eines seiner erfolgreichsten Stücke werden sollte.

Es ist ein Drama mit einfachem Plot, das zwischen den Worten seine Vielschichtigkeit offenlegt und Satz für Satz die mörderische Dynamik zwischen den drei typisierten, namenlosen Figuren vorantreibt, deren Bedürfnisse aber nicht konkreter und menschlicher sein könnten. Karl Schönherr war nicht nur Schriftsteller, er war auch Arzt. Er hatte tiefen Einblick in die körperlichen Nöte der Menschen und wusste genau um die oft schwerwiegenden sozialen Konsequenzen mangelnder Gesundheit.

Taktisch eingesetzte Erotik

Aus diesen Nöten bzw. Begierden entwickelte er den Unterbau zu seinem „Weibsteufel“. Er verknüpfte zeitlose Motive wie Status, Besitz und Anerkennung mit dem unerfüllten Kinderwunsch der Frau, der nicht erfüllenden Sexualität des mittellosen Ehepaares und einer zunächst nur taktisch eingesetzten Erotik des Jägers, die, sobald echte Gefühle ins verräterische Spiel kommen, nicht mehr so einfach kontrolliert werden kann.

Der Mann treibt sein Weib an, den falschen Avancen des Jägers nachzugeben, damit er ungestört seiner Hehlerei nachgehen kann. Er will das Haus am Marktplatz kaufen, um so den gewünschten gesellschaftlichen Aufstieg zu erlangen und zumindest auf diese Weise vor seinem Weib als „ganzer Mann“ dazustehen.

Zum Warenwert degradiert

Der Jäger lässt sich wiederum vom Kommandanten auf das Weib „ansetzen“, um den kriminellen Machenschaften des Paares auf die Schliche zu kommen und eine schnelle Beförderung zu erreichen. Das Weib weist zunächst das Ansinnen des Mannes zurück, spielt aber schließlich mit, bis es, mehrfach verraten vom „System Weibsteufel“, zur Einzelkämpferin wird.

Im Konkurrenzkampf der beiden Männer zum Warenwert degradiert, erkennt es in dieser Ware ein Werkzeug, lernt es einzusetzen und schlägt die Herren mit ihren eigenen Mitteln. Intimität, Grenzen die überschritten werden, und vor allem das, was nicht gesagt wird: Mit diesen Innenräumen beschäftigt sich dieses Hörspiel, das die bäuerliche Stube in seiner musikalischen Umsetzung weder zeitlich noch regional verortet.

(c) ursula hummel berger

Der Weibsteufel – Ö1 Hörspiel (29.05. 2019; 14 Uhr 05) n. dem Drama v. Karl Schönherr (ORF/SWR)

Der Weibsteufel

„Ö1 Hörspiel“ zu Karl Schönherrs gleichnamigem Drama.

„Ich bin keine Sterberin. Ich leb gern; ja, jetzt noch lieber als früher. Wenn schon gstorbn sein muss, warum denn grad ich und du, zwei gsunde Leut?“ Nüchtern zieht das Weib vor dem Grenzjäger in Karl Schönherrs Stück „Der Weibsteufel“ seinen Schluss aus den Erfahrungen, die es durch den wechselhaften Kampf mit sich selbst und den beiden Männern gemacht hat.

Einblick in die körperlichen Nöte

„Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube“ – so schlicht leitet Karl Schönherr seine Dreiecksgeschichte ein, die 1915 am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gelangte und eines seiner erfolgreichsten Stücke werden sollte.

Es ist ein Drama mit einfachem Plot, das zwischen den Worten seine Vielschichtigkeit offenlegt und Satz für Satz die mörderische Dynamik zwischen den drei typisierten, namenlosen Figuren vorantreibt, deren Bedürfnisse aber nicht konkreter und menschlicher sein könnten. Karl Schönherr war nicht nur Schriftsteller, er war auch Arzt. Er hatte tiefen Einblick in die körperlichen Nöte der Menschen und wusste genau um die oft schwerwiegenden sozialen Konsequenzen mangelnder Gesundheit.

Taktisch eingesetzte Erotik

Aus diesen Nöten bzw. Begierden entwickelte er den Unterbau zu seinem „Weibsteufel“. Er verknüpfte zeitlose Motive wie Status, Besitz und Anerkennung mit dem unerfüllten Kinderwunsch der Frau, der nicht erfüllenden Sexualität des mittellosen Ehepaares und einer zunächst nur taktisch eingesetzten Erotik des Jägers, die, sobald echte Gefühle ins verräterische Spiel kommen, nicht mehr so einfach kontrolliert werden kann.

Der Mann treibt sein Weib an, den falschen Avancen des Jägers nachzugeben, damit er ungestört seiner Hehlerei nachgehen kann. Er will das Haus am Marktplatz kaufen, um so den gewünschten gesellschaftlichen Aufstieg zu erlangen und zumindest auf diese Weise vor seinem Weib als „ganzer Mann“ dazustehen.

Zum Warenwert degradiert

Der Jäger lässt sich wiederum vom Kommandanten auf das Weib „ansetzen“, um den kriminellen Machenschaften des Paares auf die Schliche zu kommen und eine schnelle Beförderung zu erreichen. Das Weib weist zunächst das Ansinnen des Mannes zurück, spielt aber schließlich mit, bis es, mehrfach verraten vom „System Weibsteufel“, zur Einzelkämpferin wird.

Im Konkurrenzkampf der beiden Männer zum Warenwert degradiert, erkennt es in dieser Ware ein Werkzeug, lernt es einzusetzen und schlägt die Herren mit ihren eigenen Mitteln. Intimität, Grenzen die überschritten werden, und vor allem das, was nicht gesagt wird: Mit diesen Innenräumen beschäftigt sich dieses Hörspiel, das die bäuerliche Stube in seiner musikalischen Umsetzung weder zeitlich noch regional verortet.

(Text: ursula scheidle)

SWR: Download zur Verfügung bis Mai 2020

https://weibsteufel download

Zimmer mit Aussicht

IMG_4711

Drei Aussteiger an der Südküste Kretas *

Zimmer mit Aussicht. Vom Leben im Süden, an Stränden und in Höhlen. Von Ursula Scheidle
In der Reihe „Abgetaucht. Geschichten vom Wasser“. Im Ö1 Online-Auftritt begleitet von Arbeiten der Fotokünstlerin Silvia Maria Grossmann.

Drei Menschen, die verschiedener nicht sein könnten, verbindet ein Traum: Sie möchten ein Leben außerhalb der gesellschaftlichen Norm führen. Ein Experiment versuchen. Sich aussetzen: der Natur, der Unbequemlichkeit, den Fragen nach der eigenen Identität.

Stephanie Strassner, Künstlerin aus Deutschland, Joel Grandel, ehemaliger Kohlenminenarbeiter aus Belgien, und Yves Valentin, Weltreisender aus Straßburg, hat es zu unterschiedlichen Zeitpunkten an denselben Ort verschlagen. An die Südküste von Kreta, an die Strände bei Matala und Lentas. Dort wohnen sie in Höhlen oder in Bambushütten. Und das seit Jahrzehnten.

Ursula Scheidle hat die drei Menschen um die 50 in ihren Behausungen besucht. Sie erzählen von starken Momenten in einem ungewöhnlichen Leben. Und davon, was von den Träumen übrigbleibt, wenn sie Wirklichkeit werden.
Die Musik zu diesem Feature stammt von den beiden österreichischen Musikern Robert Horak und Gerald Selig, die sich dazu vor Ort am Strand von Lentas zu Improvisationen inspirieren ließen.

Ton: Elmar Peinelt
Redaktion: Elisabeth Stratka