Hörspielaufnahmen am RP4, Funkhaus „Die Vitaminlüge“ v. Daniel Wisser

Die Vitaminlüge

Hörspiel von Daniel Wisser

CARLA sehnt sich nach der großen Katastrophe, um frei zu werden, frei von Verpflichtungen, Beziehungen und einem immergleichen Alltag, der ihrem Leben einen letzten Rest von Struktur verleiht. Wir folgen CARLA durch diesen Alltag, den sie ihrer Therapeutin, Frau KLARFELDT, am Telefon eindringlich schildert und sich im Laufe der Telefongespräche in alptraumhafte Räume und Begegnungen verwandelt. Immer tiefer dringen wir dabei in CARLAS eigentliches Drama vor, das sich zwischen ihr und ihrer Mutter, die sie im Altersheim besucht, vor vielen Jahren ereignet hat. Mutter wie Tochter fühlen sich beide schuldig am Tod des Mannes, des Vaters. Doch darüber wurde und wird nicht gesprochen. Die unselige Verbindung, die die kleine Familie aneinander hält, ist Quelle für CARLAS Katastrophensehnsucht und nervösen, phobisch-neurotischen Zustand.

Daniel Wisser hat dieses Hörspiel im Eindruck der Pandemie und Lockdowns geschrieben. Er hat,“ wie er sagt, „mit einer gewissen Faszination bemerkt, dass viele Menschen fast begeistert darüber waren, dass soziale Kontakte und Verpflichtungen wegfielen bzw. leicht und ohne Ausrede abzusagen waren. Der heimliche, immer schon gehegte Wunsch, den bisherigen Alltag hinter sich zu lassen, konnte plötzlich frei ausgelebt werden.“ Also hat sich, wie er schreibt, „auf die Suche nach den Gründen für die Sehnsucht nach Katastrophen und Untergangsszenarien und die Hintergründe für allzu voreiligen oder haarsträubenden Alarmismus gemacht,“ denn er glaubt, „dass diese nicht in den äußeren Umständen, sondern in persönlichen Frustrationen zu suchen sind.“

In seinem Text durchmisst Daniel Wisser den „Imaginationsraum Hörspiel“ neu, spielt mit Erzähl- und Zeitebenen sowie mit Außen- und Innenräumen. Ganz im Sinne des „Jandl´schen-Mayeröcker Imperativs“: Hör!Spiel!

Friedhofsgeschichten aus Reykjavík in Ö1/Ambiente

Recht zentral, in der Nähe des Stadtteichs und des Nationalmuseums, liegt auf einer Anhöhe der historische Friedhof von Reykjavík, Hólavallagarður. Sein ältestes Grab ist datiert mit dem Jahr 1838. Heute ist der Friedhof nicht nur ein Ort für die Toten, sondern, wie sein Chef-Gärtner Heimir Janusarson sagt, vor allem ein Ort für die Lebenden. Auf seinen ca. 3.000 Quadratmetern birgt er nicht nur kunstvolle Grabsteine aus Basalt mit dekorativen Bildern, sondern auch an die 200 Pflanzensorten und eine ungewöhnlich dichte Sammlung verschiedenartiger Bäume, importiert aus allen Erdteilen. So reichhaltig seine Fauna ist, so vielseitig sind die Geschichten, die der Gärtner Heimir Janusarson zu den einzelnen Gräbern und über die Aktivitäten, die der Friedhof für seine Stadtbewohner bereithält, erzählt.

 

 

Im Ö1 Hörspiel: Der Weibsteufel – n. Karl Schönherr

„Ich bin keine Sterberin. Ich leb gern; ja, jetzt noch lieber als früher. Wenn schon gstorbn sein muss, warum denn grad ich und du, zwei gsunde Leut?“ Nüchtern zieht das Weib vor dem Grenzjäger in Karl Schönherrs Stück „Der Weibsteufel“ seinen Schluss aus den Erfahrungen, die es durch den wechselhaften Kampf mit sich selbst und den beiden Männern gemacht hat.

Einblick in die körperlichen Nöte

„Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Schauplatz: Eine Stube“ – so schlicht leitet Karl Schönherr seine Dreiecksgeschichte ein, die 1915 am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gelangte und eines seiner erfolgreichsten Stücke werden sollte.

Es ist ein Drama mit einfachem Plot, das zwischen den Worten seine Vielschichtigkeit offenlegt und Satz für Satz die mörderische Dynamik zwischen den drei typisierten, namenlosen Figuren vorantreibt, deren Bedürfnisse aber nicht konkreter und menschlicher sein könnten. Karl Schönherr war nicht nur Schriftsteller, er war auch Arzt. Er hatte tiefen Einblick in die körperlichen Nöte der Menschen und wusste genau um die oft schwerwiegenden sozialen Konsequenzen mangelnder Gesundheit.

Taktisch eingesetzte Erotik

Aus diesen Nöten bzw. Begierden entwickelte er den Unterbau zu seinem „Weibsteufel“. Er verknüpfte zeitlose Motive wie Status, Besitz und Anerkennung mit dem unerfüllten Kinderwunsch der Frau, der nicht erfüllenden Sexualität des mittellosen Ehepaares und einer zunächst nur taktisch eingesetzten Erotik des Jägers, die, sobald echte Gefühle ins verräterische Spiel kommen, nicht mehr so einfach kontrolliert werden kann.

Der Mann treibt sein Weib an, den falschen Avancen des Jägers nachzugeben, damit er ungestört seiner Hehlerei nachgehen kann. Er will das Haus am Marktplatz kaufen, um so den gewünschten gesellschaftlichen Aufstieg zu erlangen und zumindest auf diese Weise vor seinem Weib als „ganzer Mann“ dazustehen.

Zum Warenwert degradiert

Der Jäger lässt sich wiederum vom Kommandanten auf das Weib „ansetzen“, um den kriminellen Machenschaften des Paares auf die Schliche zu kommen und eine schnelle Beförderung zu erreichen. Das Weib weist zunächst das Ansinnen des Mannes zurück, spielt aber schließlich mit, bis es, mehrfach verraten vom „System Weibsteufel“, zur Einzelkämpferin wird.

Im Konkurrenzkampf der beiden Männer zum Warenwert degradiert, erkennt es in dieser Ware ein Werkzeug, lernt es einzusetzen und schlägt die Herren mit ihren eigenen Mitteln. Intimität, Grenzen die überschritten werden, und vor allem das, was nicht gesagt wird: Mit diesen Innenräumen beschäftigt sich dieses Hörspiel, das die bäuerliche Stube in seiner musikalischen Umsetzung weder zeitlich noch regional verortet.

Musikalische Umsetzung & Kunstsprache

Alle Sounds (von Stefan Fraunberger) kommen aus dem Bauch eines Zymbals (ungarisches Hackbrett), zum Teil elektronisch bearbeitet, zum Teil im Originalklang belassen. Die Kunstsprache des Tiroler Schriftstellers und Arztes Karl Schönherr ist im (lokalen) Idiom der drei Tiroler Schauspieler/innen Gerti Drassl, Hannes Perkmann und Harald Windisch angedeutet. Technisch umgesetzt wurden die akustischen Erzählräume von Anna Kuncio (Ton), Daniel Bren und Manuel Radinger (Schnitt).

Zuhause sein am Mittelpunkt der Erde

Die Halbinsel Snaefellsness im Westen Islands gilt als „Island im Kleinformat“ und ist eines der beliebtesten touristischen Ausflugsziele. Auf überschaubarem Raum wechseln sich hier steile Küsten, Fischerorte, Krater, malerische schwarze Sandstrände, Lavafelder und Weidelandschaft ab. Der dort befindliche Gletscher Snaefellsjökull gilt als mythischer Kraftberg und erlangte durch das Werk zweier Schriftsteller Weltruhm: Der französische Autor Jules Vernes wählt den Gletscher als Ort des Geschehens in seinem Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ und der isländische Literaturnobelpreisträger Halldor Laxness beschreibt in seinem Werk „Am Gletscher“ die skurrile Seelsorge-Geschichte eines unorthodoxen Pfarrers und seiner Gemeinde. Nicht weit entfernt von Hellnar, einem winzigen Küstenort am Fuße des Snaefellsjökull, baut derzeit die Fotografin und Kamerafrau Birgit Gudjonsdottir* an der Steilküste ein Haus für ihre Familie und ein Atelier
Sie erfüllt sich damit ihren Kindheitstraum. Es soll ein Zuhause werden – nicht nur für sie selbst, die ihr Leben lang zwischen den beiden Welten Island und Österreich hin und herpendelt, sondern auch für Künstlerinnen und Künstler, die sich dort einmieten und ihre kreative Arbeit von den Kräften des Ortes beflügeln lassen sollen. Birgit Gudjonsdottir führt über die mit Moos bewachsenen Weiden bis zur Steilküste und durch ihr noch im Bau befindlichem Haus, von dem aus ein 360 Grad Blick auf Küste, Meer und Berg möglich wird und gewährt persönliche Einblicke in die isländische Kultur und Natur. Ursula Scheidle war bei Birgit Gudjonsdottir zu Gast.

*Birgit Gudjonsdottir wurde 1962 in Reykjavík geboren und wuchs in Island, Norwegen, Deutschland und Österreich auf. Sie ist als Dozentin tätig, Mitglied der Deutschen und der Europäischen Filmakademie und war Vorstandsmitglied des Europäischen Kameraverbands IMAGO. 2018 erhielt den Ehrenpreis des Deutschen Kamerapreises.

 

Wo sind alle Menschen und Tiere hin?

Im Schalltoten Raum in den Ö1 Hörspielstudios mit Markus Hering und Elmar Peinelt.

„Die Arbeit der Nacht“ Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Glavinic

Ich freue mich, dass Ö1 mein Hörspiel „Die Arbeit der Nacht“ nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Glavinic am Samstag, 5. September, um 14 Uhr wiederholt. Es ist ein Stück, das in den ausgestorbenen Straßen Wiens durch den Corona bedingten Lockdown eine unheimliche Gegenwärtigkeit erfahren hat. – Ein Mann wacht in der Nacht auf und entdeckt nach und nach, dass er vollkommen allein ist, in Wien, in der Provinz, wahrscheinlich überall. So bedrohlich die Erkenntnis des totalen Alleinseins in einer vollkommen unbewohnten Welt anmutet, so bedrohlich dreht sich die Angst, womöglich unter diesen neuen Vorzeichen doch einem Anderen zu begegnen.
Die Streifzüge durch Wien, durch die menschenleeren Straßen, Wohnungen und Keller, durch menschenleere Landschaften und Dörfer in der Provinz, durch ein ausgestorbenes Europa, entwerfen eine Tour de Force durch seelische Zustände, Ängste und Sehnsüchte. Das Hörspiel verwandelt die Abwesenheit von Welt in einen akustischen Thriller.
Mit dabei sind Markus Hering als Jonas, Hans Piesbergen als erzählende Kamera, dicht auf Jonas´ Fersen im Close Up, Dorothee Hartinger als Marie und außerdem Bibiana Zeller. Ton: Elmar Peinelt und Stefan Wirtitsch, Produktion NDR/ORF.